Was hat eine Krebserkrankung mit Beziehung zu tun?

Eine Krebserkrankung ist ein besonderer Anlass und eine besondere Herausforderung, Beziehungen zu Angehörigen und Freund*innen zu klären.
Als erste Reaktion auf die Diagnose ist meist ein Erschrecken gegenwärtig. Wie bedrohlich wird das angekündigte Leiden sein? Angst wird mobilisiert und bei vielen auch Schuldgefühle und/oder Vorwürfe. „Du hättest nicht rauchen sollen!“ „… dich gesund ernähren sollen!“ usw. Oder der Partner hat vielleicht Schuldgefühle, weil er die Bedürfnisse des Betroffenen oft übergangen hat, (zu) viel von ihm gefordert hat, oder vielleicht auch mal aggressiv war.

Sehr häufig werden all die hochkommenden Gefühle gar nicht differenziert wahrgenommen und noch seltener mitgeteilt, weil die Angehörigen den Erkrankten schonen möchten und der Erkrankte seine Angehörigen nicht belasten will. Das ist eine sehr rücksichtsvolle Motivation. Allerdings könnte darüber reden hilfreich sein, wenn man eine Art und Weise des Darüber-Sprechens findet, die die emotionale Spannung für alle Beteiligten löst und nicht verstärkt. Denn in einer nahen Beziehung bekommen die Partner/Angehörigen die emotionalen Spannungen sowieso zu spüren – oft unbewusst. Und diese Spannungen können den Stress verfestigen anstatt zu lösen.
Wie kann man Spannung lösend kommunizieren?

Der Ausweg aus einer derartig beklemmenden Situation besteht darin, dass alle Beteiligten sich ihrer Bedürfnisse, Wünsche und Anliegen bewusst werden und diese mitteilen (s. Bedürfnisse und Emotionen).
Die häufigsten Gefühle, die in dieser Situation auftreten und zu einer ungelösten Spannung führen, sind Ängste und Schuldgefühle sowie Vorwürfe.

Zunächst können Sie mit Ihren Angehörigen über Ihre Not sprechen, die Sie mit Ihren eigenen Gefühlen haben – z.B. das Dilemma, dass Sie Angst spüren z.B. vorm Sterben oder Leiden, aber den anderen nicht belasten wollen, vielleicht sogar Angst haben, ihn zu verlieren. Oder Sie haben vorwurfsvolle Gedanken, wie Rücksichts- oder Lieblosigkeit, die Sie Ihrem Partner nicht mitteilen möchten, weil Sie ihn ja gern haben und diese Vorwürfe als trennend erleben und ihn nicht verurteilen wollen… Dabei spüren Sie bitte nach, welches positive Bedürfnis hinter der Angst oder einem Vorwurf steckt und reden Sie nur noch über diese Ihre positiven Bedürfnisse (s.a. „Bedürfnis und Emotion“). Angst ist unsere Warnlampe für Bedrohungen, ist unser emotionaler Ausdruck für unser Bedürfnis nach Sicherheit, Vertrauen oder Mut. Sprechen Sie also mit Ihren Angehörigen darüber, was Sie brauchen oder sich wünschen (und ggf. Ihre Angehörigen), um (wieder) ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen herzustellen, oder Mut zu finden, der aus Urvertrauen gespeist ist, um eine gefährliche Situation gut zu durchstehen (wie z.B. eine Operation oder Chemo, oder Schmerzen…).

Die hier genannten Beispiele dienen nur dazu, um das Allgemeine leichter zu verstehen. Sie sollen und können Ihre Wahrnehmung Ihrer eigenen Gefühle und Bedürfnisse nicht ersetzen. Bitte fühlen Sie immer wieder in sich hinein, was Ihre Gefühle und positiven Bedürfnisse sind und versuchen Sie, diese in Worte zu fassen. Dabei achten Sich bitte darauf, dass die positiven Bedürfnisse und Wünsche auch positiv formuliert werden.
Zum Beispiel kann ein an Krebs Erkrankter sagen: „Ich habe Angst vor einem qualvollen Tod. Ich möchte dich nicht mit meinen Ängsten belasten. Es ist bestimmt schon schlimm genug für dich, dass ich Krebs habe… Ich möchte irgendwie wieder Vertrauen finden – dass alles letztlich gut wird. Auch wenn ich sterben sollte. Aber jetzt möchte ich erst leben und Vertrauen ins Leben finden…“

Oder: „… Vertrauen in die Medizin und Mut für die Behandlung finden…“

Spüren Sie in sich hinein, was Sie brauchen, um wieder in Verbindung mit Ihrem Urvertrauen ins Leben zu finden.

Vorwürfe und Schuldgefühle

Wenn Sie in sich Vorwürfe spüren, ist das dahinter liegende Bedürfnis nicht ganz so leicht zu finden, weil Vorwürfe häufig aus einer Opfer- oder Richterrolle im sog. Opfer-Retter-Dreieck entstehen (s.a. „Lösung aus der Opferrolle“). Dahinter steckt in aller Regel das Bedürfnis, nach einer erlebten Verletzung wieder in eine gegenseitig aufbauende Kooperation zu kommen. Dies Bedürfnis motiviert uns, unsere Kooperationspartner zu kritisieren, ggf. vorwurfsvoll – in der Hoffnung, dass er in der Lage ist, auf unser Bedürfnis nach Wiederherstellung einer Kooperation einzugehen und sein Verhalten dementsprechend zu verändern. Leider wird häufig dies Bedürfnis vom Gegenüber nicht wahrgenommen, sondern er reagiert aus dem Beziehungsmuster des Opferdreiecks heraus mit Rechtfertigung, Gegenangriff oder selbstzerstörerischen Schuldgefühlen.

Also verschonen Sie Ihren Partner vor Ihren Vorwürfen und sprechen Sie mit ihm darüber, wozu und wie Sie gerne mit ihm kooperieren möchten, was Sie brauchen, damit Sie mit ihm wieder vertrauensvoll zusammenwirken können oder Ähnliches.

Zum Beispiel: „Manchmal spüre ich eine Vorwurfshaltung in mir, wo ich dir für ganz viele Dinge die Schuld zuschieben möchte. Dabei weiß ich, dass du das alles nicht absichtlich getan hast, um mich zu verletzen. Allerdings habe ich an diesen Stellen Wünsche an dich. Z.B. wünsche ich mir, dass du mehr Zeit mit mir verbringst mit etwas Schönem – mehr Zärtlichkeit…. …, dass du Rücksicht auf meine Verletzlichkeit und Bedürfnisse nimmst – spätestens, wenn ich dich darum bitte… – mich mehr unterstützt…“

Bei Schuldgefühlen ist das Thema ein Ähnliches, nur dass Sie sich selbst anklagen, sich selbst Vorwürfe aus der Perspektive des anderen machen, vielleicht Vorwürfe, die er oder Ihre Eltern Ihnen einmal gemacht haben. Jetzt können Sie den Partner um Entschuldigung bitten. Sie können ihn auch fragen, was er von Ihnen braucht, damit er wieder vertrauensvoll mit Ihnen kooperieren kann – wenn Sie dies wünschen.

Oft ist es in solchen Situationen schwierig, selbst positive Bedürfnisse, Wünsche und Anliegen an den anderen überhaupt zu spüren. Nehmen Sie sich Zeit dafür. Womöglich haben Sie die Möglichkeit mit einer Freund*in oder Therapeut*in darüber zu sprechen. Es lohnt sich, diese positiven Wünsche bei sich zu finden. Sie sind wie innere Schätze, die leider oft vergraben wurden – schon als Kind oder den ersten Jahren einer Ehe. Aus Ihren vergrabenen Bedürfnissen, Wünschen und Anliegen kommt die Motivation und die Energie für eine Neugestaltung Ihres Lebens wie auch Ihrer Beziehungen. Und: Sprechen Sie darüber!