An der Universitätsklinik in Hamburg-Eppendorf wurde ein Experiment in der Chirurgischen Klinik durchgeführt. Ca. 30 Patienten wurde in einem ausführlichen Gespräch ihre Krebsdiagnose eröffnet sowie über die Therapiemöglichkeiten gesprochen. Die Gespräche wurden per Tonband aufgezeichnet. Fast alle Patienten gingen später zur Stationsschwester, um zu erfahren, was sie denn nun hätten. Fast niemand erinnerte sich und wenn sich jemand erinnerte, dann meist noch falsch oder an nicht ausgesprochene Zusammenhänge.

Die Diagnoseeröffnung einer Krebserkrankung gilt inzwischen als Trauma mit einer möglichen sinnvollen psychophysiologischen Belastungsreaktion, die das Individuum vor zu viel destruktiver Realität schützen soll, die in diesem Fall das Geschehen mehr oder weniger ausblendet.

Die Diagnoseeröffnung wird nur unvollständig, verschwommen oder gar nicht erinnert. Er kommen Gefühle von Angst und Panik, völlig wirre Gedanken, Gedanken an Siechtum, Krankheit und Tod und andererseits auch körperliche Empfindungen wie z.B.: Der Boden geht mir unter den Füssen weg, ich versinke, ich falle in ein tiefes Loch, es schlägt mir auf den Magen, ich bin nicht richtig da.
Dieser Zustand dauert etwa 7 – 8 Minuten. In dieser Zeit bekommt der Patient kaum etwas mit von dem, was auf ihn eingesprochen wird, aber das auf ihn Eingesprochene geht direkt in das Unterbewusstsein. Die Patienten funktionieren nur noch, äußerlich sieht man ihnen meistens gar nichts an.

Dieser Moment also, der Schock der Diagnose, ist von mehrfacher Bedeutung: Der Arzt denkt, dass der Patient aufgeklärt ist, dass er Bescheid weiß über Diagnose, weitere Maßnahmen und die Prognose. Was der Arzt nicht weiß, ist, dass der Patient nichts mitbekommen oder eventuell nur verzerrte Informationen aufgenommen hat. Diese Auswirkung erschwert natürlich die weitere Zusammenarbeit von Patient und Arzt, möglicherweise beeinflusst dies auch negativ das Vertrauen des Patienten in die weitere medizinische Behandlung.

Ein weiterer Aspekt ist, dass Informationen, die Auswirkung auf die Zukunft haben können, wie z.B. „es sieht schlecht aus“ oder Ähnliches, wie eine hypnotische Intervention wirken können.

Wenn die normale und zweckmäßige posttraumatische Reaktion aber über Monate andauert, wird von einer posttraumatischen Belastungsstörung gesprochen. Das Auftreten einer solchen andauernden posttraumatischen Belastungsstörung mit Flash-Backs, Intrusionen, dissoziativen Zuständen, Derealisation, Depersonalisierung soll nach einer Krebsdiagnose in etwa 25 % auftreten.
Patienten mit diesen Symptomen empfiehlt sich eine spezielle Trauma-Therapie! In einer solchen Therapie kann dann auch erkannt werden, ob unter der aktuellen Schockerfahrung bereits eine alte Traumatisierung schlummert, die durch die neuerliche (Todes-) Angst getriggert wurde. Ist dies der Fall, wird der Patient „wie damals“ mit gleichen oder ähnlichen dysfunktionalen Abwehr- und Überlebensstrategien antworten, (z.B. totaler Rückzug, Überzeugung, schuld zu sein, Überzeugung „nichts machen zu können“, Überzeugung „mir kann keiner helfen“ usw.), die seine Einstellung zum Gesundwerden (Gedanken und Gefühle) extrem blockieren können.

Wie können wir ansonsten mit dem Schock der Diagnose umgehen? Der Arzt sollte natürlich trainiert werden, das Überbringen schlechter Nachrichten, hier ernster Diagnosen in „verdaubarer“ Form zu vollziehen. Eine Diagnoseübermittlung kann vielleicht zunächst das Wort „Krebs“ völlig vermeiden und dem Patienten Alternativen offen lassen, oft im Zusammenhang mit verschiedenen Therapiemöglichkeiten.

Der Schock der Diagnose wird abgemildert, vielleicht sogar ganz aufgehoben, wenn der Patient im Beisein einer vertrauten Begleitperson ist. Dann kann der Patient nach dem Arztgespräch die Situation mit seinem Begleiter noch einmal durchsprechen. Der erfahrene Onkologe wird darauf hinwirken, dass bei der Eröffnung von Situationen mit bedrohlicher Wirkung ( Diagnose Krebs, Diagnose Metastasen ) eine Begleitung dabei ist.

Ist kein vertrauter Begleiter bei dem Gespräch dabei, findet also das Gespräch allein zwischen Arzt und Patient statt, so sollte sich der aufklärende Arzt der ganzen Situation und der möglichen traumatischen Wirkung voll bewusst sein. Das bedeutet, dass das Gespräch in einem ungestörten Raum und in einem ausreichenden Zeitrahmen geführt wird. Und bitte nicht am Telefon! Wenn die Diagnose „Krebs“ offensichtlich bei dem Patienten ankommt, so sollte der Arzt wissen, dass der Patient jetzt mehr oder weniger stark in einen Schockzustand geraten kann, bei dem die Informationskanäle überflutet und die Kommunikationskanäle nach außen hin abgeschaltet werden können.
Das ist manchmal äußerlich kaum wahrnehmbar, da der Patient weiterhin auf Fragen scheinbar angemessen antwortet. Allerdings wird sein Blick nach innen gehen und er wird – bei genauem Hinsehen – wie geistesabwesend erscheinen. In dieser Situation sollte der Arzt keine Informationen mehr geben, sondern auf die Uhr schauen und etwa 7-8 Minuten lang möglichst nichts sagen, da der Patient jetzt in einem Chaos der Gefühle ist und für Kommunikation von außen sowieso nicht erreichbar ist. Nach diesen 7 oder 8 Minuten ist es erfahrungsgemäß hilfreich, den Patienten zu fragen, was in ihm abgelaufen ist und was noch in ihm abläuft. Dann kommen meistens folgende Gedanken: Krebs ist ein Todesurteil, wie soll das weitergehen, Gedanken an Siechtum, Schmerzen, Qualen und an den Tod. Natürlich kommen auch Gedanken an die Familie, eventuell an Kinder, an den Ehepartner und es kommt die Panik, diese eventuell verlassen zu müssen. Vielleicht bricht der Patient auch in Tränen aus und kann sich kaum beruhigen.

Der Arzt sollte dann mit dem Patienten solange über seine Gedanken und Gefühle sprechen, bis sich das Chaos aufgelöst hat und die Schockwirkung vorbei ist. Erst dann sollte mit Informationen über die bisherigen Untersuchungsergebnisse begonnen werden sowie über mögliche weitere Maßnahmen, über Therapieoptionen und über den möglichen weiteren Verlauf beraten werden. Unter allen Umständen zu vermeiden ist es, Prognosen zu geben. Der Hauptgrund ist, dass es sowieso unmöglich ist, für den Einzelnen eine sichere Prognose abzugeben und ein weiterer Grund ist, dass prognostische Aussagen möglicherweise den Verlauf beeinflussen können.

In einen Schock gerät der Patient oder die Patientin nicht nur bei Diagnoseeröffnung, sondern möglicherweise auch im Zusammenhang mit Untersuchungen und hier besonders bei eingreifenden Untersuchungen. Gerade habe ich ein Gespräch mit einer Patientin geführt, bei der eine Gewebeentnahme wegen eines tastbaren und verdächtigen Brustknotens durchgeführt wurde. Eigentlich eine Routinemaßnahme. Sie schildert den Vorgang wie folgt: „Ich hatte große Angst, dass die da so reingehen, ich war so unversehrt (weint). Es ist mir noch nie passiert, dass jemand so mit mir umgegangen ist. Die Stanze begann mit einem lauten Knall, der mich – obwohl vorher aufgeklärt – völlig verschreckt hat. Das Herumschieben mit der Stanznadel hörte einfach nicht auf (hier weint die Patientin stark). Ich konnte nur noch so daliegen und das über mich ergehen lassen und ich hatte den Eindruck, dass das nicht richtig ist, was hier passiert. Ich lag da wie erstarrt (Traumazeichen). Irgendwas ist kaputtgegangen (Patientin weint wieder). Ich musste mich da so abspalten, ich konnte die nur noch machen lassen, ich habe mich aufgegeben (weint wieder stark)“. Nach einem etwa einstündigen Gespräch war die Patientin erleichtert und das Trauma dieser Gewebeentnahme für sie aufgelöst.

Da ich aus 38 Jahren Berufserfahrung innerhalb der Onkologie weiß, dass solche Situationen nicht die Ausnahme sind, möchte ich die Forderung eines bekannten Psycho-Onkologen unterstützen, dass zumindest jeder Arzt, der in der Behandlung mit Krebspatienten beschäftigt ist, eine intensive Ausbildung in Traumabehandlung haben sollte.