Die Diagnose Krebs scheint auch bei Ärzten eine so große Angst auszulösen, dass sie nicht abwarten, bis der Patient die Diagnose verarbeitet hat, um dann bei einer Entscheidung mitzuwirken. Das führt zu Hast und Hektik: „Ich habe schon einmal für morgen früh einen Op-Termin vereinbart. Hier haben Sie die Adresse und die Zeit.“ Der Patient, noch tief im Diagnoseschock steckend, funktioniert und erlebt wie im Trancezustand alles Weitere. Dass dies seinem Immunsystem und damit seinem Gesamtzustand nicht gut bekommt, liegt auf der Hand.
Es ist in der Tat so, dass es in der Onkologie bis auf ganz wenige Ausnahmen ( akute Blutungen, akute Leukämien, akuter Op-Bedarf o.ä. ), k e i n e n Zeitdruck gibt. Es hat immer mehrere Wochen Zeit, um die Situation von allen Seiten zu beleuchten, um schließlich die für ihn beste Lösung zu finden. Bei einer bestimmten Form des Prostatakarzinoms z.B. ist Abwarten zu einer Therapieoption geworden („watchful waiting“).
Wenn ich dies meinen Patienten erkläre, so ist die Erleichterung groß. Sie nehmen sich dann die Zeit, mehrere Experten zu befragen, um schließlich eine gute Entscheidung zu treffen. Schließlich ist eine gute Entscheidung besser als eine schnelle Entscheidung. Hinzu kommt, dass in dieser Zeit dem Patienten geholfen werden könnte, den Schock der Diagnose zu verarbeiten.
Hinzu kommt ein erheblicher Erkenntnisgewinn für Medizin und Patienten: nur wenn wir Krankheitsverläufe länger beobachten, können wir die biologische Dynamik abschätzen. Nur so konnte bei einer bestimmten Form des Prostatakarzinoms die „Therapieform“ des „wachful waiting“ entwickelt werden.

Es gibt kaum eine Situation in der Onkologie, die zu schnellem Handeln führen muss. Ausnahmen sind vielleicht einige Leukämieformen, mechanische Veränderungen ( Darmverschlingung, Farkturen ) oder akute Blutungen. Ansonsten gilt: Besser eine gute Entscheidung als eine schnelle.